Information

Dauer
150 Minuten
Weitere Sprache (an bestimmten Terminen)
Englisch
Übertitel in
Englisch
Musik
Christopher Uhe  
Bühne
Kammer I  

Beschreibung

Während die Türen des Theaters geschlossen bleiben müssen, stellen die Münchner Kammerspiele hier jeden Tag den internen Mitschnitt einer Inszenierung aus dem Spielplan online. Theater für zu Hause.

Am 05. April ab 18 Uhr zeigen die Münchner Kammerspiele „König Lear“. Ihr könnt Euch die Produktion im hier eingebetteten Video ansehen oder direkt auf der Seite der Münchner Kammerspiele:

No Country for Old Men? Die Welt hat sich geändert, und für König Lear ist es Zeit, seine Macht an die nächste Generation weiterzureichen. Nur tatsächlich loslassen kann er nicht – viel zu sehr ist er die Privilegien gewöhnt, die ihm sein Leben lang selbstverständlich waren. Mit dem bevorstehenden Machtwechsel verändert sich der Blick: Sind die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht bestimmt von den Immergleichen, seit Jahrtausenden schon? Bedarf es nicht dringend eines Umsturzes – kalt und strukturell? So oder so, bestimmt wird das Spiel nun von Lears Töchtern – sie sind an der Reihe, die Verantwortung für eine andere, noch unbestimmte Zukunft zu übernehmen. Wie radikal muss der Wandel sein? Wie viel Zeit bleibt für den Zweifel? Muss der Vater sterben, damit die Töchter frei sein können? Wie sieht die zukünftige Welt aus? Besser, schlechter oder einfach anders?
Thomas Melle, Autor von „Die Welt im Rücken“ und Autor und Gegenstand von Stefan Kaegis „Unheimliches Tal / Uncanny Valley“ zu Beginn der letzten Spielzeit, hat für die Inszenierung von Stefan Pucher an den Münchner Kammerspielen Shakespeares Königsdrama neu übersetzt und bearbeitet.

Kritiken

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Theresa
Spielmann

Theatertanten

Dunkle Zeiten sind das, wenn Irre Blinden den Weg weisen.

Besuchte Vorstellung: 28. September 2019

König Lear in einer neuen Übersetzung von Thomas Melle. Er ist schon bekannt in den Kammerspielen für Unheimliches Tal/Uncanny Valley (Unsere Kritik dazu: https://theatertanten.com/2018/12/20/kritik-unheimliches-tal-uncanny-valley-kammer-3/). In seiner Übersetzung bewegt er sich zwischen Shakespeare und der Sprache eines modernen Autors, der im jetzt lebt, der die heutige Sprache versteht, sogar ab und an verwendet, aber die Wortgewandtheit vergangener Zeiten schätzt. Er versucht in seiner Übersetzung des Shakespeare Klassikers nicht vergeblich jung und „in“ zu sein, manchmal streuen sich dennoch Worte ein, die ganz und gar nicht Shakespeare-like sind, aber durch ihren ironischen und trotzigen Unterton sehr wohl in die Inszenierung passen.

Dunkle Zeiten sind das, wenn Irre Blinden den Weg weisen.

Die Story König Lears bleibt im groben dieselbe. Einiges wird gekürzt, aber der Grundkonflikt zwischen Alt und Jung bleibt bestehen. Die Fragen des Klassikers werden neu aufgearbeitet: Was bedeutet Macht und Autorität? Wer hat das Recht darauf: die junge oder die alte Generation? Wann muss sich etwas ändern? Wenn man einmal an der Macht ist, kann man dann wirklich loslassen?

Im Zentrum des Stücks steht ein Familienkonflikt, wie es ihn in zahlreichen Dramen gibt. König Lear gibt seine Macht ab und möchte sie an seine drei Töchter verteilen. Der Machtkampf beginnt. Ein weiterer Rivale: Edmund, Gloucesters Bastard, gespielt von Thomas Hauser. Mit unmoralischen und brutalen Maschen kämpfen die Jungen gegen die Alten und die Geschwister unter sich. Ein Machtkampf und ein Familienkonflikt, wie er nur von Shakespeare kommen kann. Nur halt nach Thomas Melle, deswegen spielen auch Internet und Follower eine Rolle.

Stefan Pucher geht in seiner Inszenierung auf den modernen Anspruch des Textes ein, aber lässt zu großen Teilen die Worte und das Schauspiel für sich sprechen. Es gibt lange Textpassagen, die ganz und gar nicht langwierig wirken, sondern unterhalten und Spaß an Sprache erwecken. So düster Shakespeares König Lear ist, so komisch ist die Version von Stefan Pucher und Thomas Melle. Pucher bringt übertriebene Melodramatik in die tragischen Tode der Figuren, anders wären sie gar nicht erträglich. Wie oft hat das Theaterpublikum schon einen tragischen und dramatischen Tod alla Shakespeare gesehen? Ohne eine gewisse Komik kann das heutzutage kaum noch gut gehen.

Schauspielerisch stechen besonders Gro Swantje Kohlhof, Nachwuchsschauspielerin des Jahres 2019, und Samouil Stoyanov, der den Narren und Grafen von Kent spielt, hervor.

Highlight der Inszenierung sind Bühnenbild und Kostüm. Hintergrund der Bühne ist ein rosa Wolkenhimmel, der romantischer nicht aussehen könnte. Hervorragender Rahmen für einen Auftritt von Major Tom, der überraschend gut zu der Rolle des Edgars passt. Der mit Galaxien und Sternen bemalte Vorhang, der gegen Ende des Stücks auftaucht, bietet eine Projektionsfläche für Livevideos, die an merkwürdige Clips erinnern, auf die man um zwei Uhr nachts im ewigen Kreislauf YouTubes trifft.

Die Kostüme passen sich dem Bühnenbild an und unterstützen die Züge der Charaktere. So trägt Cordelia, gespielt von Jelena Kuljić, beispielsweise eine Boxer-Shorts und der König, der immer mehr dem Wahnsinn verfällt, eine wild gemusterte Combo von Blumenanzug und 70er Jahre Hemd.

Mit dieser Inszenierung hat sich Stefan Pucher einiges getraut. Er nimmt an vielen Stellen Abstand von Shakespeare und geht seinem eigenen Konzept nach, das er konsequent durchzieht. An anderen Stellen wäre ein Ausbruch aus diesem Konzept nicht verkehrt gewesen und hätte dem Abend noch eine weitere Perspektive verliehen und den Kontrast oder auch die Gemeinsamkeit mit dem Shakespeare-Original verdeutlicht.

Theresa Spielmann   // Theatertanten
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Max
Kuhlmann

qooz - aus dem Leben

Premiere am 28.09.2019, ich werde es noch ein zweites Mal ansehen. Eine zweite Chance. Für mich war es bisher – kurz gesagt – eher eine modernisierte „König Lear Klamaukfassung“. Es mögen ernsthafte Überlegungen hinter der Textfassung von Thomas Melle stehen: Femininismus etwa. Für mich wurden sie zu wenig pointiert (das Programmheft erwähnt Einiges). Es geht aber nicht darum, alles ernst zu sehen, auf keinen Fall. Ich mag es einfach schlichter. Aber so sind unsere Zeiten: Alles schnell schnell, alles bunt dargestellt, viel Brimborium, bloß nicht schlicht.
Allerdings: Es liegt auch an der inhaltlich im Grunde schon fürchterlich aufgeladenen Story von William Shakespeares König Lear. Auch Thomas Melles inhaltliche Veränderungen helfen da wenig. Entschlackt hat er es inhaltlich kaum. Aber für mich ist es eben eher Klamauk, etwa die Shakespearefigur „Tom of Bedlar“, der Bettler, als der sich der verfolgte Edgar ausgibt. Bei Stefan Pucher schwebt er als „Major Tom“ aus dem Bühnenhimmel herab, mit E-Gitarre. Naja.
Für mich ist es generell fraglich, warum man sich König Lear überhaupt noch ansieht – die „Tragödie“ von William Shakespeare über den alten König Lear, der sich zurückziehen will. Es geht ja zurück auf eine uralte englische Sage über „King Leir“, einen britischen König aus der vorrömischen (!) Zeit.
Zum Inhalt der Tragödie: Es sind zwei Handlungsstränge.
Erster Handlungsstrang: König Lear will sich zurückziehen, das Land auf seine drei Töchter aufteilen. Die beiden älteren Töchter erfüllen den Wunsch des Königs nach Liebesbezeugung. Die Jüngste, Cordelia, verweigert sich – ich sage mal – herumzuschleimen. Sie bekommt nichts, die anderen beiden bekommen alles. Cordelia wird nach Frankreich verheiratet.
Dann gibt es den zweiten Handlungsstrang: Graf Gloucester – bei Thomas Melle Gräfin Gloucester, gespielt von Wiebke Puls. Sie hat den ehelichen Sohn Edgar und den unehelichen Sohn Edmund (ich merke es mir so, dass das „un“ im Namen Edmund für „un“ehelich steht). Edmund – bei Pucher gespielt von Thomas Hauser – will Edgar – bei Pucher gespielt von Christian Löber – ausbooten: Er verfasst einen Brief, angeblich von Edgar, wonach dieser seinen Vater – bei Pucher eben seine Mutter – entmündigen will, und Edmund veranlasst Edgar sogar, zu fliehen. Klare Sache, der ist doch schuldig.
Dann geht es aber erst los mit den Verstrickungen in der Shakespearefassung. Die Handlungsstränge verschlingen sich, Gloucester etwa verteidigt King Lear gegenüber den beiden älteren Töchtern. Und genau da frage ich mich: Warum schaue ich mir das an? Klar, das Thema des immer verworrener werdenden Vaters – bei Pucher gespielt von Thomas Schmauser – oder: Das Thema des Vaters, der nicht loslassen kann und über den sich die Nachkommen nur noch aufregen. Aber sonst? Feminismus wird, wie gesagt, zum Thema, lese ich im Programmheft, ich habe es kaum bemerkt.
Schauspielerisch:
Mal wieder eine „Ensemblearbeit“, wie es ja lange Zeit in München die große Schar der gediegeneren Münchner Theaterfreunde gefordert hatte, lange Zeit unterstützt vor allem von der Süddeutschen Zeitung. Schön fand ich daran Eines: Das Duo Samouil Stoyanov und Thomas Schmauser zusammen auf der Bühne. Beide zusammen strahlen einen herrlich verrückten Wahnsinn aus, siehe das Bild oben, gerade durch ihr gemeinsames Auftreten.
Samouil Stoyanov ist ein Kammerspiele-Hase. Von ihm kennt man es: Er kann – unter anderem – wunderbar Rollen spielen, die irgendwann im Verlaufe eines Stückes ausrasten. Dann wird er laut und deutlich! Etwa im Kirschgarten. Und Thomas Schmauser: Er ist ja wieder zurück an den Kammerspielen, war zwei Jahre lang am Residenztheater. Er ist zwar nicht im Alter eines alten König Lear, aber dennoch: Er spielt auch bei König Lear wieder einmal überzeugend! Da ist allerdings die Rolle schon sehr auf zunehmenden Wahnsinn angelegt. Beide zusammen jedenfalls, herrlich, das wäre es einmal: Ein Abend die beiden alleine in Becketts „Endspiel“!
Die Inszenierung:
Wie gesagt, sie war nicht Meins. Eine Drehbühne, ein zweistöckiges barackenähnliches Gebilde darauf, ein Neonschriftzug auf der Baracke („The End“), Videoeinspielungen aus dem Hintergrund. Genau das könnte man bei fast allen Inszenierungen von Frank Castorf sagen. Also nicht gerade irgendwie überraschend. Im Hintergrund etwas von Himmel oder Weltall. Allerdings: Ich mag im Grunde ja Videoeinspielungen ganz gerne, man erlebt die SchauspielerInnen dann so hautnah und intensiv.
Ich werde es noch einmal sehen, mal sehen, was mir noch auffällt.

Max Kuhlmann   // qooz - aus dem Leben

So wie in dieser Spielzeiteröffnung der Münchner Kammerspiele hat man die Tragödie von König Lear noch nicht gesehen. So jung noch nicht, nicht so witzig und nicht so entschlossen in die Gegenwart und ihre hitzigen Debatten gestemmt.

   // Frankfurter Allgemeine Zeitung

Das Ende ist Stefan Puchers Inszenierung freilich nicht, sondern vielmehr der Beginn der neuen Spielzeit im großen Haus der Münchner Kammerspiele. Und was für ein fulminanter Beginn! Nicht zuletzt dank der klugen, flapsigen, berührenden Text-Neufassung von Thomas Melle entstand eine komische, süffig-sinnliche Shakespeare-Sause, wie sich's gehört – und zugleich als eine schriftliche Reflexion.

   // Münchner Merkur

Stefan Pucher (…) erschafft einen rasanten, ungeheuer dichten Abend, an dem das gesamte Ensemble mit Lust bis zur Verausgabung spielt.

   // Süddeutsche Zeitung

Melles erweiterte Neubesetzung mäandert zwischen derb, poetisch, akademischen Wendungen und Kalauern. Mal geht es etwas steif um „Disruption“ versus „unhinterfragte Verstetigung“, dann ist es wieder irre komisch, allein, weil das großartige Ensemble die Pointen so beiläufig setzt, als hätte es sie versehentlich fallenlassen.

   // nachtkritik.de

Es ist immer auch eine Ironie dabei, ohne allerdings den ernsthaften Kern dieser sehr einleuchtenden Neusicht auf den alten Lear nur einmal zu verraten.

   // Deutschlandfunkkultur.de

Bewertungen

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Mitwirkende

Produktionsteam  

Videodesign
Ute Schall  
Inszenierung
Stefan Pucher  
Bühne
Nina Peller  
Licht
Stephan Mariani  
Kostüm
Annabelle Witt  
Dramaturgie
Helena Eckert  
Dramaturgie
Tarun Kade  

Besetzung  

Darsteller*in
Thomas Hauser  
Darsteller*in
Gro Swantje Kohlhof  
Darsteller*in
Jelena Kuljić  
Darsteller*in
Christian Löber  
Darsteller*in
Wiebke Puls  
Darsteller*in
Thomas Schmauser  
Darsteller*in
Anna K. Seidel  
Darsteller*in
Samouil Stoyanov  
Darsteller*in
Julia Windischbauer  
Live-Video
Hannes Francke  
Live-Video
Ute Schall  

Weitere Hinweise

Hinweise
English Surtitles

Download-Link Abendprogramm: https://www.muenchner-kammerspiele.de/download/7247/7247-koenig-lear-abendprogramm-(c)-annika-reiter-muenchner-kammerspiele-double-standards-berlin.pdf