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Information

Dauer
80 Minuten
Musik
Friederike Ernst  
Bühne
Kammer I  

Beschreibung

Im Spiel, schrieb Schiller, sei der Mensch wirklich frei und nach dieser Freiheit sehne er sich. Für die Regisseurin Leonie Böhm ist das Theater ein fantastischer Ort für diese Suche nach Freiheit. Hier wird gespielt und experimentiert – und das live und gemeinsam. Leonie Böhm wählt dazu „Die Räuber“, das Werk, mit dem sich der junge Schiller selber das erste Mal als Theaterautor ausprobiert hat. Schillers Text erzählt von den Brüdern Franz und Karl Moor, die unter der fehlenden Anerkennung ihres Vaters leiden. Der Vater ist dabei Vieles: ein internalisierter Kritiker, Publikum, der Spiegel der Gesellschaft und ein altes Prinzip. Im Versuch sich zu emanzipieren, verlieren sich die Brüder in den Wäldern und in Gedanken. „Wozu ich mich machen will, ist meine Sache nun“, ruft Franz. Warum sollte man nicht nach eigenen Fiktionen leben? Wozu die Schranken? Wie kommen wir wieder ins Spiel?

Gemeinsam mit dem Ensemble nimmt Leonie Böhm den alten Text als Material, um es selbst einmal zu versuchen, um die Seele „bei ihren geheimsten Operationen zu ertappen“. Wirkliche Nähe ohne Zwang, eigene Gesetze, keine Angst. Raus aus den Mustern, rein in die Liveness. Ganz „frei“ nach Schiller.

Kritiken

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Ivana
Koschier

Theatertanten

Besuchte Premiere: 23. November 2019

Bei den Räuberinnen in den Kammerspielen habe ich zunächst eine abgewandelte Version von Schillers Werk erwartet; damit lag ich hier aber ziemlich falsch. Was hier dargeboten wird, ist weniger eine Geschichte oder das Drama der Moor-Brüder in weiblicher Ausführung, als schlichtweg ein ausführliches feministisches Statement.

Die erste halbe Stunde ist witzig und unterhaltend. Die Schauspielerinnen stehen schon zu Beginn auf der Bühne, recht lässig und unbekümmert und um ein Keyboard versammelt. Als es los geht, löst sich eine von ihnen aus der Gruppe, um einen Witz zu erzählen. So geht es weiter und immer eine steht im Fokus und erzählt direkt dem Publikum etwas aus ihrem Leben oder sie singen gemeinsam Songs, begleitet von Friederike Ernst am Keyboard. Nach einiger Zeit wird auch die Zuordnung der Rollen von Franz, Karl, Amalia und Spiegelberg auf die Schauspielerinnen ersichtlich. Im Grunde ist das aber vollkommen unerheblich. Schillers Räuber ist für mich hier ein reines Mittel zum Zweck und hat sich durch die, wie so oft in Theater-Klassikern, männliche Klischee-Dominanz der Geschichte angeboten, die man hier gut umkehren und aufbrechen kann, durch das rein weibliche Ensemble und das nebenbei auch rein weibliche Team, was so alleinstehend auch schon ein wichtiger Punkt in der Theaterszene ist.

Nachdem ein Teil der sehr groben Geschichte der Räuberinnen, mit Anekdoten aus deren Alltagsleben verknüpft, dargeboten wurde, verliert sich die Aufführung im Mittelteil ein wenig. Es wirkt alles auf mich ein bisschen unkoordiniert und planlos. Essenziell ist aber die letzte halbe Stunde des Abends: Alle Schauspielerinnen lassen ihre Hüllen fallen und ziehen sich komplett aus. Was folgt ist eine Nackte-Haut-Party auf der Bühne. Die Frauen fühlen sich wohl in ihren Körpern und feiern einfach konsequent ihre Nacktheit und die Provokation. Das Bühnenbild ist eine Gewitterwolke, die von der Bühnendecke hängt, in die man sich an einigen Stellen setzen kann und die immer wieder regnet und die Bühne mit Wasser bedeckt. Die Schauspielerinnen schlittern immer wieder durch das Wasser auf die Zuschauer zu und fallen sogar teils vor die Füße der ersten Reihe.

Eine anzügliche Spannung oder was immer man erwarten würde, wenn 5 nackte Frauen vor ausverkauftem Saal ihren Körper feiern, ist nicht zu finden. Ich habe hauptsächlich das Gefühl, dass das Publikum bespaßt zuschaut und das Wohlfühlen der Schauspielerinnen auch beim Zuschauer ankommt. Hier leider natürlich immer noch mit Ausnahmen derer, die früher gegangen sind und größtenteils der älteren Generation angehörten. Ich hätte das so deutliche weibliche Statement vielleicht noch besser gefunden, wenn der Abend doch einer Struktur gefolgt wäre oder eine Geschichte, die für mich bei einem Theaterbesuch immer noch wichtig ist, in irgendeiner Form erzählt worden wäre. Aber es ist nun mal notwendig mit der flachen Hand laut möglichst auf den Tisch zu hauen, um die Strukturen anzufechten, geschweige denn zu ändern. Das ist hier schon gut gelungen und ich muss sagen, ich habe die Party absolut gefeiert.

Ivana Koschier   // Theatertanten
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Theresa
Spielmann

Theatertanten

Besuchte Premiere: 23. November 2019

Die Räuberinnen – ja, nach Schiller, aber sehr heruntergebrochen und fokussiert auf wenige Aspekte. Viel bleibt da nicht mehr übrig von dem Originaltext Schillers.

Wie der Titel bzw. die Veränderung des Titels schon vermuten lässt, stehen im Zentrum des Abends Frauen. Tatsächlich ist das gesamte kreative Team, das zum Schlussapplaus auf die Bühne kommt, und damit auch alle Schauspielerinnen, weiblich.

Die Räuberinnen stehen beim Eintritt in den Saal bereits auf der Bühne und unterhalten sich. Das Bühnenbild und die Kostüme sind harmonisch abstrakt. Zentrum der Bühne ist eine riesige Wolke, die mit ihrer übertriebenen Größe die Stimmung drückt, aber auch mal als gemütliche Sitzmöglichkeit für die Schauspielerinnen dient. Die Kleidung wirkt inspiriert von zeitgenössischer Mode, die irgendwo auch eine passive Aggressivität ausdrückt, die man mit Teenagern in Verbindung bringen kann.

Es macht mir unglaublichen Spaß, Frauen so auf der Bühne zu sehen. Nicht sexualisiert in irgendeiner Weise. Auch wenn Nacktheit gerade gegen Ende der Inszenierung eine große Rolle spielt, sie ist so natürlich und humoristisch eingesetzt, wie sie sonst nur mit nackten Männeroberkörpern auftritt. Die Schauspieler*innen schlittern nackt über die nasse Bühne. Warum nackt? Na weil man so besser und weiter schlittern kann.

Untermalt ist die Inszenierung mit Musik von der Livemusikerin Friederike Ernst. Sie begleitet die Figuren mit teils dramatischer oder auch mal einfacher Musik, die den Rahmen für mal mehr oder weniger schöne und poetische Gesangseinlagen der Schauspielerinnen bietet.

Die Schauspielerinnen sind für mich das klare Highlight. Sie fühlen sich wohl auf der Bühne, wie ich es selten gesehen habe. Jede Schauspielerin bekommt ihren Moment, in dem sie das Zepter übernimmt. Nach und nach stellt sich eine Figur vor: Erst Franz Moor, dann Karl Moor und schließlich Amalia. In drei monologischen Teilen wird in das innerste der Figuren geschaut. Was liegt ihnen zugrunde? Liebe, Depressionen, Vaterkomplexe. Bei so einer Analyse der Figurenpsychologie geht dennoch nicht der Witz verloren, auch wenn er nicht immer meinen Humor trifft.

Die Inszenierung gibt einem das Gefühl, die Schauspielerinnen kennen Schiller genauso gut wie die Regisseurin. Sie waren Teil des Entstehungsprozesses und fühlen mit ihren Rollen mit. Die Monologe sind ehrlich und versuchen nichts zu beweisen. Sie sind eine unfertige Studie der Charaktere und wollen vermutlich auch nicht mehr sein.

Hin und wieder, besonders bei Nacktheit, verlassen – oh Überraschung, Zuschauer*innen Ü60 den Theatersaal. Auch wenn der Humor, der die Nacktheit begründet sicherlich nicht jeden erreicht, scheint es mir kein Grund zu sein der Theatersaal empört zu verlassen. Es sind ja doch nur Brüste, die ausnahmsweise mal nicht sexualisiert dargestellt werden. Wo ist da das Problem, frage ich mich?

Auch wenn mir ein klarerer dramaturgischer Bogen fehlt, der die einzelnen Teile verbindet und zu einer Einheit macht, gefällt mir die Herangehensweise an so einen Klassiker der Theatergeschichte und der Mut zur Fokussierung und der radikalen Strichfassung, um eine Thematik zu behandeln.

Theresa Spielmann   // Theatertanten
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Max
Kuhlmann

qooz - aus dem Leben

Ich finde, man kann sich dessen bewusst sein, dass man wieder einmal an den Münchner Kammerspielen Stücke sieht, die besonders auffallen. Auffallen, weil man aus den üblichen Theatergewohnheiten herausgerissen ist. Das ist an den Münchner Kammerspielen in den letzten Jahren immer wieder der Fall gewesen, dennoch fällt es jetzt wieder auf:
„Die Räuberinnen“ und ein anderes Stück, das derzeit dort zu sehen ist: „Nirvanas Last“ von Damian Rebgetz, Erinnerungen an das letzte je gegebene Konzert von Nirvana vor dem Selbstmord von Curt Cobain. Diese beiden Veranstaltungen zeigen, welche Wege die Münchner Kammerspiele der Theaterkunst eröffnen. Und nicht etwa hinten in den kleineren Kammern 2 oder 3. Nein, vorne in Kammer 1!
„Die Räuberinnen“ sieht man in einer einfach abgefahrenen Inszenierung! Es „Inszenierung“ zu nennen, ist schon zuviel gesagt. Performance vielleicht eher. Es fällt mir fast schwer, es einfach zu „besprechen“. Es ist irgendwie abgefahren und berührt einen selbst thematisch durch die Leistungen der vier Schauspielerinnen. Eva Löbau, Julia Riedler, Gro Swantje Kohlhoff und Sophie Krauss.
Die SchauspielerInnen haben sicherlich intensiv an der Entstehung des Abends mitgewirkt und werden das Stück im Lauf der nächsten Monate sicherlich – hört man, ahnt man, weiß man – auch weiter entwickeln. Ich kann mir etwa nicht vorstellen, dass Leonie Böhm den Schauspielerinnen gesagt hätte: „Und jetzt zieht euch bitte aus!“ und die Schauspielerinnen gesagt hatten: „Ok, machen wir!“ Nicht bei dieser Inszenierung, es wird viel individueller – aber in der Gemeinschaft der vier – gelaufen sein.
Man sieht eben nicht die Leistung eines Regisseurs, der ein „Stück“ auf die Bühne bringt, man sieht – mehr als sonst – künstlerische und sehr ins Persönliche gehende Leistungen der mitwirkenden Schauspielerinnen. Und zwar so offen, dass Eva Löbau zu Beginn des Abends zurecht darauf hinweist, dass keine Fotoaufnahmen gemacht werden sollen. Sie offenbaren sich, sie entblößen sich, entäußern sich. Trotzdem passend, nicht überambitioniert, nicht gewollt, nicht reißerisch.
Ähnlich – nicht etwa extrem allerdings – bei „Nirvanas Last“ von Damian Rebgetz – meines Erachtens ein Kandidat für das Theatertreffen 2020 in Berlin. Die dortigen SchauspielerInnen (teils mit weiteren MusikerInnen) singen komplett das letzte je gegebene Konzert von Nirvana nach. Auch das ist nicht ein „Stück“, es ist mehr persönliche Leistung der SchauspielerInnen. Sie singen die Songs in völlig andere Art und Weise. Mit Sehgewohnheiten alter „Theaterhasen“ hat das nichts zu tun. Für junge Menschen ist es schon eher!
Und das ist schön! Kunst ändert sich! Es mag beim Theater die Tendenz geben, dass man eben immer wieder „Theater“ sehen will, gelungene „Inszenierungen“, „Klassiker“ auch. Man verfällt Gewohnheiten. Mehr wahrscheinlich, als wenn man in eine Ausstellung geht. Gut, „Die Räuberinnen“ von Leonie Böhm basiert auf einem Klassiker: „Die Räuber“ von Friedrich Schiller. Aber die Handlung des Klassikers verschwindet hier vollkommen. Der Grundgedanke, der aus „Die Räuber“ herausdestilliert wird, ist etwa: Was hält uns davon ab, nach eigenen Konzepten und Entwürfen zu leben, anstatt nach vorgegebenen Konditionen, nach gesellschaftlichen Vorgaben? Und: Wie können wir in diesem einen Leben frei sein? Es geht vor allem auch nicht nur um Individualismus, sondern Gott sei Dank um Gemeinschaft! Aber das sagt alles noch viel zu wenig.
(...)

Max Kuhlmann   // qooz - aus dem Leben

Leonie Böhms „Die Räuberinnen“ an den Münchner Kammerspielen ist eine Befreiung. Klug versteht sich die Regisseurin darauf, die gewichtigen Klassiker des Theaters kräftig zu entschlacken, die Schichten der vergangenen Jahrhunderte abzuschleifen und ihren Kern in unsere Gegenwart zu übertragen.

Anna Landefeld im Gespräch mit Eckhard Roelcke   // Deutschlandfunkkultur.de

Es ist das poetische, furiose und, ja, wahrhaftige Schlussbild einer bemerkenswerten, komischen und berührenden Inszenierung.

Michael Schleicher   // Münchner Merkur

Die Regisseurin greift sich gern Klassiker, zerlegt diese in Einzelteile und prüft, was sie und ihr Ensemble daran interessiert. Daraus entwickeln sie dann gemeinsam ein eigenwilliges Theater, das immer Party, Musikvideo, Originaltext, Zeitgeist und im besten Fall kluger Kommentar dazu ist. Bei den „Räuberinnen“ kommt noch das Element „Wie mal ein Junggesellinnenabschied außer Kontrolle geriet“ dazu und Böhm führt all das auf leichteste und lustigste Weise zusammen.

Christiane Lutz   // Süddeutsche Zeitung

Leonie Böhm ist eine Entstauberin, eine Meisterin der Reduktion. Sie lüftete und entrümpelte in der vergangenen Spielzeit die miefige Gelehrtenstube im urheiligsten aller deutschen Dramen, in Goethes „Faust“, kondensierte daraus einen rappenden „Yung Faust“. Nun also filetiert sie mit Friedrich Schiller den nächsten Großen der deutschen Klassik. Und wie – klug, mit feinsinnigem Gespür für das Wesentliche.

Anna Landefeld   // AZ

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Mitwirkende

Besetzung  

Darsteller*in
Gro Swantje Kohlhof  
Darsteller*in
Sophie Krauss  
Darsteller*in
Eva Löbau  
Darsteller*in
Julia Riedler  

Weitere Hinweise

Hinweise
English Surtitles

Download-Link zum Abendprogramm:
https://www.muenchner-kammerspiele.de/download/7517/7517-die-rauberinnen-abendprogramm-(c)-annika-reiter-muenchner-kammerspiele-double-standards-berlin.pdf